Wie Frankfurt uns als Mahnmal dient

Lukas Hille kommentiert die Schlüsse aus der Blockupy-Demonstration vom 18. März. Dieser Beitrag ist im Espresso, dem Mitgliedermagazin der JU Hochtaunus, erschienen.

110 Tage ist der 18. März 2015 genau her, heute, als ich eine kleine Rückschau wage. Was damals für einen Tag Frankfurt in Schock verfallen ließ, lässt sich kurz und knapp in ein paar Zahlen zusammenfassen: Ein Tag, eine Zentralbank, 17.000 Demonstranten, 2000 Idioten, über 100 verletzte Polizisten, dutzende brennende Polizeiautos, Millionenschäden.

Eine solche Bilanz der letzten Großdemonstration in Deutschland lässt es zu, einmal grundsätzlich eine Verhältnisbestimmung vorzunehmen zwischen Demokratie, Demonstrationsrecht, Gewalt und Verantwortung.

**Das Demonstrationsrecht ist ein historisches Erbe**

Zunächst einmal sei gesagt: Das Demonstrationsrecht ist unantastbar. Es ist ein Grundrecht, dass nicht nur in der Geschichte unseres Staates eine ungeheure Rolle spielt und sich weltweit in so unterschiedlichen Kontexten, vom Widerstand gegen den Kolonialismus in Indien über die Rassenproteste in den Vereinigten Staaten bis hin zu unserer Wiedervereinigung, bewährt hat. Es bietet uns auch in einer repräsentativen Demokratie ein unverzichtbares Sicherungssystem.

Jeder von uns kennt die Tücken dieser Repräsentativen Demokratie: Dringend notwendige Kompromisse in der politischen Verhandlungen geben jedem von uns ab und an das Gefühl, dass wir eben nicht mehr repräsentiert sind. Das Demonstrationsrecht bietet eine Möglichkeit, dies auszudrücken. Man muss in unserem Land die Möglichkeit haben, seine Meinung auch selbst lautstark zu vertreten, wenn man das Gefühl hat, dass eine Sache gerade nicht so läuft, wie der Bürger es sich gedacht hat, als er bei der Wahl sein Kreuz gemacht hat.

Demonstration – dieses Wort kommt vom lateinischen demonstrare, es bedeutet „etwas zeigen“ – sich selbst, seine Meinung, seine Wut, seine Trauer. Dieses Recht hat jeder Staatsbürger unseres Landes, und auch wir als Union haben es immer wieder genutzt, zuletzt bei der Demonstration gegen eine Rot-Rot-Grüne Regierung in Thüringen oder in Person von Angela Merkel bei der Trauer der Opfer bei Charly Hebdo in Frankreich.

An genau dieser Stelle steht allerdings auch das große Aber.

**Das Prinzip Verantwortung ist die Grundlage der Freiheit**

Jedes Recht, das wir als Staatsbürger haben, beinhaltet irgendwo auch eine Pflicht. Ein Umstand, der auch grundsätzlich allen politischen Lagern bekannt ist. Rosa Luxemburg, am linken politischen Rand, drückte es aus, indem sie sagte „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern.“ Und der CDU-Grundsatz, den Anette Schavan bei ihrem Rücktritt so schön zusammenfasste, drückt es am besten aus: „Erst das Land, dann die Partei, dann ich selbst.“ Meine Rechte beinhalten Pflichten, meine Pflichten haben ein Ziel: Das Fortkommen des Landes. Dieses Ziel steht hinter meiner persönlichen Freiheit, es konstituiert diese. Diesen Grundsatz nenne ich das Prinzip Verantwortung.

In diesem Blickwinkel bekommt das Demonstrationsrecht einen anderen Geschmack: Es ist nicht nur ein Äußerungsinstrument, es ist, so gesehen, Ausdruck einer demokratischen Bürgerpflicht: Wenn mir etwas nicht passt, muss ich es ausdrücken, ob nun auf dem Parteitag oder auf der Straße, ich muss mich einmischen, meine Stimme erheben. Die Freiheiten des Landes nur zu genießen ist keine Option.

**Wie Blockupy sich verantwortungslos zeigt**

Zurück also zum 18. März: Der Protest der 17.000 wäre sicherlich legitim, ja irgendwie auch ihre Pflicht gewesen. Aber unter dem Prinzip Verantwortung trägt jeder Demonstrant, insbesondere jeder Organisator, nun neben seinem Banner noch eine Aufgabe: Die Demonstration so zu organisieren und aufzuziehen, dass sie dem Fortkommen des Landes dient.

An dieser Stelle, das muss man so hart ausdrücken, versagt Blockupy seit es gegründet wurde. Auf internationale Aufrufe zur Blockade – eine an sich schon destruktive Haltung – folgt seit Jahren jedes Mal die Verantwortungslosigkeit der Organisatoren, die weder in den eigenen Bussen bereit sind Kontrollen durchzuführen, noch bereit sind mit den Behörden angemessen zu kooperieren noch bekannte, gewaltbereite Gruppen ausschließen. Stattdessen ruft man zur Solidarität mit jeder Protestform auf, aus den Reihen der Demonstranten kam noch nie ein sachdienlicher Hinweis zu Tätern.

Mit einer solchen Haltung wird aus legitimer Meinungsäußerung eine irrelevante Aussage, aus dem Bürgerrecht der Demonstration wird ohne die Bürgerpflicht der Verantwortung allzu oft ziellose Randale, aus dem staatsbürgerlichen Handeln wird schnell ein staatsfeindlicher Akt. Wenn das Bewusstsein der gleichberechtigten Verantwortung jedes Bürgers verloren geht und der Schuldzuweisung, der subjektiven Deutungshoheit über die Wahrheit, den Feindbildern und dem Hass weicht, dann wird aus dem großartigen, historischen Recht der Demonstration das, was wir in Frankfurt gesehen haben, als Steine auf Polizisten und Rettungskräfte und Brandsätze in bemannte Fahrzeuge flogen. Aus einer konstruktiven, menschenfreundlich gemeinten Veranstaltung wird ein Mahnmal der Menschenfeindlichkeit.

**Die Legitimation unserer Freiheit**

Jeder von uns trägt Verantwortung für sein Umfeld, seine Mitmenschen und sein Land. Das ist der Grund, aus dem wir Politik machen, so wie die meisten anderen politisch engagierten Menschen auch. Wenn dieser Grundkonsens, dieses Prinzip Verantwortung, in unserer Gesellschaft stirbt, dann tragen wir gleichzeitig unser Grundgesetz und damit unsere Freiheit zu Grabe. Das simple Wahrnehmen von Rechten ist zu einfach. Das Grundgesetz ist nicht nur Hüterin meiner Rechte, sondern auch Mahnmal meiner Verantwortung.

Freiheit ist eine große Macht in unseren Händen, sie ist die eigentliche Macht des Volkes. Große Macht bedeutet aber immer auch große Verantwortung. Erst wenn diese wahrgenommen wird kommt unsere Freiheit zu ihrer Legitimation.

« Pegida überall – wir müssen etwas tun! Von Chefsachen und Stilistik »